Jedes Mal, wenn ein Mitglied einer prominenten indischen Familie heiratet, wird mit der Dekoration nicht zurückgehalten und die ganze Stadt geschmückt. Große Banner hängen an leeren Wänden, Blumengirlanden von Terrassengeländern und hübsche Laternen und Lichter an Bäumen, während bunte Muster den Boden zieren. Überall ist die Melodie der Shehnai oder der Sitar zu hören und der Duft von Süßem und Öllaternen schwebt in der Luft. „Dekoriert die gesamte Stadt wie eine Braut“, nennen sie es.
Als ich Indien verlassen habe, war ich ein wenig wehmütig, dass ich dies alles nun hinter mir lassen würde. Man kann sich also vorstellen, wie überrascht ich war, dass es das auch in Deutschland gibt, nur eben in einer anderen Form. Statt Bannern und Blumengirlanden schmückten Lichterketten und leuchtende Straßennamen die Innenstädte, schimmernde Ornamente ersetzten die farbenfrohen Muster. Und statt der Shehnai und Süßigkeiten höre ich hier Weihnachtslieder und genieße den Geruch von Lebkuchen in meiner Nase. Im Grunde genommen ist dies die gleiche festliche Freude, wie ich sie aus Indien kenne – das gemeinsame Zelebrieren und die Kraft der guten Stimmung.
Das war natürlich vor der Pandemie. Die traurige Realität ist, dass sich so schnell auch nichts ändern wird. Aber eins der Dinge, worin die Menschheit gut ist – und daran halte ich fest, auch wenn ich der letzte unserer Spezies bin, der daran glaubt – ist es, hoffnungsvoll zu sein. Gibt man uns Zitronen, machen wir eben Limonade draus. Und auch wenn man uns eine Pandemie gibt, die über die ganze Welt wütet, können wir, so denke ich, trotzdem etwas, das an Limonade erinnert, daraus machen.
Lest weiter und findet heraus, wie ich Weihnachten in diesem Jahr neu entdeckt habe und was ihr tun könnt, um die Magie dieser Zeit aufrecht zu erhalten – mit Abstand natürlich.
Erste Eindrücke
Da ich in einem hinduistisch geprägten Land aufgewachsen bin, stammen alle meine Vorstellungen von Weihnachten aus Hollywood. Diese Filme stellen Weihnachten immer als eine magische Zeit dar, wo selbstverständlich nur gute Dinge passieren. So habe ich natürlich immer gedacht, dass jedes Weihnachten eine weiße Weihnacht ist und falls es Heilig Abend noch nicht geschneit hat, so werden die ersten Schneeflocken spätestens rieseln, wenn alle gemütlich um den Kamin versammelt sind. Ich dachte auch, alle Kinder wachen am Morgen auf und rufen „Es ist Weihnachten“, bevor sie die Treppe hinunter rennen und anfangen, Geschenke auszupacken. Für einen kurzen Zeitraum meiner Kindheit habe ich geglaubt, dass du als freches und ungehorsames Kind von deiner Familie an Weihnachten allein zuhause gelassen wirst und gegen Einbrecher kämpfen musst, während alle anderen in den Urlaub fliegen.
Je älter ich wurde, desto mehr schlichen sich die amerikanischen Übertreibungen davon und ich habe erste eigene Eindrücke der Weihnachtszeit sammeln können. Interessanterweise war meine erste Erfahrung mit dem deutschen Weihnachtsmarkt gar nicht in Deutschland sondern in Indien! Der Markt wurde von der deutschen Botschaft in Neu Delhi organisiert und als ich ihn betrat, hatte ich wirklich keine Ahnung was mich dort erwarten würde. Erleuchtete Verkaufsstände und Häuschen, die sämtliche Arten von Handwerkskunst und Bastelei, zahlreiche Süßigkeiten und Snacks und natürlich Bier verkauft haben. In der Mitte des Marktes stand ein riesiger, fast sechs Meter hoher Weihnachtsbaum, der mit Schleifen und Engeln und was nicht alles dekoriert war. Auch wenn der Baum nicht so prächtig geschmückt gewesen wäre, hätte man mich so oder so allein mit dem Fakt beeindrucken können, dass man in Indien überhaupt einen Weihnachtsbaum auftreiben konnte. Dieser Ort versprühte eine Magie, die den ganzen Abend zu spüren war. Ich erinnere mich, dass ich mich gefragt habe, wie wohl ein echter Weihnachtsmarkt in Deutschland aussieht. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich es vier Jahre später herausfinden würde.
Weihnachten in Deutschland
Der Anbruch der Weihnachtszeit beginnt langsam und stetig. Vorbereitungen der Stadt starten bereits im November und wenn der 1. Dezember hereinbricht, sind schon überall sämtliche Weihnachtsindizien zu bestaunen. Es sind nicht nur diese grandiosen Dekorationen und unzähligen kleinen Lichter, die die Stadt einrahmen, sondern auch diese kleinen Gesten, wie jedes freudige „Frohe Weihnachten“ und die kleinen Schokoladentäfelchen, die man beim Einkaufen so euphorisch in die Hand gedrückt bekommt.
Eine Weihnachtstradition, die mittlerweile zu meinen Lieblingstraditionen gehört, ist der Adventskranz. An den vier Sonntagen vor Weihnachten wird jeweils eine zusätzliche Kerze an einem Kranz angezündet. Es ist vor allem ein schönes Konzept, weil man so jedes Mal einen extra Schwung Weihnachtsstimmung bekommt und die Kerzen außerdem symbolisch für das Licht stehen, das Jesus den Gläubigen bringt.
Meine allerliebste Tradition noch vor dem Adventskranz ist aber der Adventskalender. Wenn man den materiellen Aspekt auslässt, ist es eine wirklich schöne Art des Weihnachtscountdowns. Noch besonderer wird der Kalender, wenn eine geliebte Person ihr Herzblut hineinsteckt und dir einen eigenen, persönlich zusammengestellten schenkt.
Falls ihr den normalen Weihnachtsmarkt in Göttingen vermisst oder ihr, so wie ich ein internationaler Student seid und euch fragt, wie der Markt eigentlich normalerweise aussieht – hier ist ein super schönes Video davon!
Weihnachten zu Corona-Zeiten
Also was soll man dann dieses Jahr tun? Nur weil die Zeiten momentan nicht rosig sind, heißt es nicht, dass alles so sein muss!
Zwar gibt es in diesem Jahr leider keine Weihnachtsmarktstände, trotzdem lassen sich die schönen Dekorationen in der Stadt bewundern! Und wenn du es noch schöner gestalten willst, machst du dir einfach deine eigene Weihnachtsplaylist und genießt das musikalisch untermalte Flanieren durch die Innenstadt.
Was ich in diesem Jahr an Weihnachten tun werde: Ich werde mir meinen eigenen Becher Glühwein mitnehmen und mich auf den Weg in die Stadt machen (Anm.d.Red.: Der Text entstand vor dem Corona bedingten Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, Kakao geht aber auch!). Dann werde ich meine allerliebste Weihnachtsmusik anmachen (Jingle Bell Rock und Oh, Tannenbaum, falls ihr euch das gefragt habt) und werde mir die Zeit nehmen, alles in der Stadt aufzusaugen, was nur geht. Ich werde mich auf dem Weg zum großen Glitzerbaum vor dem alten Rathaus machen, bevor ich mir danach die schönsten Dekorationen anschaue (die Rentiere in der Langen-Geismar-Straße sind meine Favoriten). Dann geht’s zur Stadtbibliothek bei der alten SUB und den wunderschönen, riesigen Adventskalender der Stadt anstarren, der auf einer Hausfassade angebracht ist. Jedes der Fenster ist mit Kränzen und Malereien geschmückt und wird beleuchtet, sobald es an der Reihe ist. Ich kann es also kaum erwarten, wenn morgen alle 24 angeleuchtet sein werden!
Nach dem Adventskalender werde ich noch ein wenig durch die Stadt schlendern und das verrückte Jahr Revue passieren lassen. Wenn mein Herz dann mit Weihnachtsdekorationen und Festtagsstimmung gefüllt ist, gehe ich zurück zum alten Rathaus. Dieses Mal werde ich direkt zum Baum gehen, um mich darunter zu stellen, die glitzernde Masse aus grün und gold über meinem Kopf bestaunen und dankbar sein, dass in diesem Jahr wenigstens ein bisschen Weihnachten in der Luft liegt. 2020 war in allen Belangen unwirklich. Es war vor allem extrem herausfordernd für uns alle und hat unser gesamtes Leben auf den Kopf gestellt, so wie wir es vorher niemals hätten erahnen können. Wir mussten damit klarkommen, möglichst viel alleine auszukommen, was uns gelehrt hat, wie wichtig all die Menschen um uns herum sind. Auch wenn du dort nun alleine unter dem Baum stehst, denke dran, es ist alles um deine Liebsten zu schützen, denn die tun genau das Gleiche für dich. Und wenn du schon mal dort bist, mach ein schönes Bild um dich daran zurückerinnern zu können, wie weit wir gekommen sind und wie resilient uns dieses Jahr gemacht hat.
Ich hoffe nun, ihr konntet Weihnachten in diesem Jahr genauso neu entdecken wie ich und wünsche euch in diesem Sinne frohe, distanzierte Weihnachten!