Papier und Kugelschreiber waren gestern. Heute wird an der Uni elektronisch geprüft.
Prüfungsphase. Eine Zeit, die in meinen Erinnerungen normalerweise in einem Nebel aus panischem Angstschweiß und traumatischer Prokrastination untergeht. Nur eine Klausur bleibt mir bis heute im Kopf: erstes Semester, Einführungsmodul Englische Sprachpraxis – eine E-Prüfung.
Ich kann noch alles gestochen scharf vor mir sehen: Die klausurtypische Anspannung unter den Studierenden, das leise unaufhörliche Klicken der Computermäuse, die schummelsichere Folie auf den Bildschirmen meiner Sitznachbarn (Nein, man kann wirklich nichts erkennen. Was natürlich nicht bedeuten soll, dass ich es versucht hätte…), nervös auf und ab laufende Dozenten und meine Trinkflasche, die still und heimlich auf dem Boden im E-Prüfungsraum ausläuft.
Jetzt, knapp drei Jahre später, kehre ich an den Ort des Geschehens zurück (spähe verstohlen zu der Stelle, wo damals ein halber Liter Wasser im Teppich versickert ist) und treffe Holger Markus und seine Kollegin Damla Yildirim, die Köpfe hinter dem E-Prüfungssystem. Die erste Frage liegt auf der Hand: Was haben wir Studis von einer E-Prüfung? „Wir können unterschiedliche Medien in der Klausur einsetzen. Bilder, Videos oder andere visuelle Elemente“, erzählt Yildirim. „Für Hörverstehensaufgaben ist das praktisch“, ergänzt Markus. „Und es kann auch ein Anlass für Dozierende sein, neue Materialien zu verwenden.“ So lassen sich zum Beispiel auch unterschiedliche Anwendungen auf den PCs freischalten: Excel, Word, PowerPoint, Wörterbücher oder spezielle Software, mit der im Seminar gearbeitet wurde. Mit Papier und Kuli geht das nicht.
Davon abgesehen, machen uns E-Prüfungen zu ehrlicheren Menschen. Ausreden nach dem Muster „Der/Die hat mich noch nie gemocht“ ziehen nämlich nicht mehr. Das Motto im E-Prüfungsraum lautet „maximale Objektivität“ und setzt unfairer Benotung und fadenscheinigen Vorwänden gleichermaßen ein Ende.
Doch der Vorteil, der wahrscheinlich die meisten Lehrenden veranlasst, eine Prüfung elektronisch abzuhalten, ist die Arbeitsersparnis. Das bedeutet nicht nur, dass der Dozierende (oder dessen geknechtete Hilfskräfte) weniger Arbeit hat, sondern auch, dass nicht mehr mehrere Jahreszeiten ins Land gehen, bevor die Studis ihre Noten bekommen.
Aber keine Angst, die menschliche Komponente geht nicht abhanden: Freitexte werden ausnahmslos von Hand korrigiert. In getippter Form verliert man so zwar extravagante Handschriftkunstwerke, dafür muss sich der Korrektor nicht mehr durch ein Labyrinth an Sternchen-Verweisen und Fußnoten quälen. Zudem wird jede Prüfung im Rahmen des Qualitätssicherungsprozesses noch einmal durch einen Mitarbeiter des E-Prüfungssystems gegen gecheckt. „So können wir sehen, ob es Auffälligkeiten im Antwortverhalten gab“, sagt Markus. Haben beispielsweise viele Studierende Probleme bei der Beantwortung einer Frage, muss es nicht unbedingt ihre Schuld sein. „Dann muss man sich fragen, ob bei der Fragenkonzeption etwas schief gelaufen ist.“
Das Waldsterben werden die E-Prüfungen allerdings nicht aufhalten können, denn jede Klausur muss nach der Fertigstellung ausgedruckt und durch den Prüfling unterschrieben werden. Ganz ohne Papier geht es also doch nicht.
Mehr Infos zum E-Prüfungssystem an der Uni Göttingen gibt es hier.