Der Nabel – von Rowdies und Straßentänzen

Mit diesen Anekdoten und Insidertipps kannst du beim nächsten Besuch deiner Eltern den obligatorischen Stadtrundgang aufpeppen.

Was ist eigentlich der „Nabel“?

Ich hab bestimmt ein Jahr lang in Göttingen gewohnt, ohne zu wissen, was es mit „diesem Nabel“ auf sich hat, von dem alle reden. Dabei bezeichnet er einfach nur die Kreuzung von Weender-, Theater- und Prinzenstraße, die Mitte Göttingens. Auf der runden Bank in der Mitte der Kreuzung machen die Leute eine kleine Pause vom Einkaufen und am Eingang der Theaterstraße erklingt oft Akkordeonmusik. Der Nabel ist ein Treffpunkt, wie das Gänseliesel auch. Aber um was es hier eigentlich gehen soll, ist das, was sich auf dem Sockel über der Rundbank abspielt. Geradeheraus gesagt: Ich sehe dort einen Mann, eine Frau und ein Kind, die aussehen, als würden sie sich gegenseitig festhalten, um nicht auf die unter ihnen sitzenden Passanten zu fallen. Laut Homepage der Stadt Göttingen jedoch, ist es ein Paar, das „um sich selbst kreist und sich mit ausladender Geste  gegenseitig die Masken vom Gesicht nimmt, während das Kind sich als Dritter im Bunde, im Wunsch, an diesem Spaß teilzuhaben, dazwischen drängt.“ „Der Tanz“ von Bernd Altenstein sei ein Sinnbild für das menschliche Miteinander, für Annäherung und Begegnung.

Wie kam „Der Tanz“ zum Nabel?

Eine Interpretation, die mir viel besser gefällt, habe ich in dem Buch „Kleines Göttingen ABC“ von Gudrun Keindorf gefunden: Bis Anfang der 70er Jahre sah es am Nabel noch ganz anders aus. Statt entspannter Fußgängerzone, nerviger Autoverkehr. Traten die Anwohner damals aus ihrer Haustür, standen sie sofort auf einer befahrenen Straße. Kein Wunder, dass die Göttinger vor Freude auf der Straße tanzten, als dort eine Fußgängerzone eingerichtet wurde. In dem Buch heißt es, „Der Tanz“ sei eine Erinnerung an diese spontane Party. Vom Stadtarchiv erfahre ich aber, dass die Geschichte fragwürdig ist. „Zum einen gab es schon in den Siebzigerjahren am Nabel nicht viele Anwohner, da sich in den Häusern meistens Geschäfte befanden und befinden. Zum anderen erfolgte die Einrichtung der Fußgängerzone schrittweise in fließendem Übergang, sodass es keine eigentliche Eröffnung gab. Es kommt mir so vor, als habe man nachträglich für die Skulptur eine historische Erklärung gesucht“, so Ernst Böhme vom Stadtarchiv.

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Das wilde Leben des „Baumkuchen“

„Der Tanz“, der 1982 aufgestellt wurde, ist nicht das erste Kunstwerk am Nabel. 1975 wurde dort eine Art Springbrunnen installiert: Eine fünf Meter hohe Plexiglassäule, an der Wasser hinunter in ein rundes Becken floß und die auf Grund ihrer Form „Baumkuchen“ genannt wurde. Der „Baumkuchen“ hatte ein wahrlich wildes Leben. Vier Stunden, nachdem er aufgestellt worden war, hatten „Rowdies“, so das Göttinger Tageblatt, die Säule komplett zerstört. Ein halbes Jahr später wurde sie wieder aufgestellt. Und von da an wurde ihr Wasser von Unbekannten  regelmäßig rosa, lila oder gelb gefärbt. Noch dazu fingen irgendwann Algen  in dem Brunnen an zu wachsen, was das Farbenspiel noch um grün erweiterte. Die Stadt und Großteile der Bevölkerung waren nicht erfreut. Woraufhin die Säule abmoniert wurde und als „trauriges Kapitel der Göttinger Gegenwart“ (so nannte es der damalige Stadtbaurat) in die Geschichte einging. Es wurde ein Wettbewerb um die Neugestaltung des Nabels ausgerufen. Altensteins „Tanz“ setzte sich gegen gegen eine Ahornbaum- und eine Wasserradskulptur durch und steht dort nun unbeschadet seit 35 Jahren.

 

Bildquelle: Die historischen Fotos stammen vom Städtischen Museum Göttingen.

 

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Gwendolyn Barthe, 22, studiert im Bachelor Soziologie. Beim Schreiben isst sie am liebsten Gummibärchen.

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