Fridays For Future: die Organisation der vielen Gesichter

Ein etwas trostlos wirkender Raum im Göttinger Umwelt- und Naturschutzzentrum (GUNZ). Mehrere Tische in einem Kreis aufgestellt. An der Wand ein Whiteboard mit der Tagesordnung. Sehr schlicht. Tagungsfeeling. Hier soll das entstehen, worüber sich im Moment die ganze Welt (so fühlt es sich zumindest an) streitet? Das kann ich noch nicht wirklich glauben. Und doch beginnt in diesem Raum in wenigen Minuten das wöchentliche Plenumstreffen der Göttinger Ortsgruppe von Fridays For Future.

Während die Mitglieder langsam eintreffen, bin ich immer noch verblüfft darüber, dass es nur den Einsatz von ungefähr einem Dutzend Schüler*innen braucht und schon demonstrieren auf den Straßen Göttingens mehr als 4.000 Menschen für den Klimaschutz – so viele waren es beim Klimastreik am 29. November. Eine Frage, die mich heute zu dieser Sitzung getrieben hat, war deshalb: Wie schaffen es die Jugendlichen von FFF, diese großen Demos auf die Beine zu stellen? In meinen Augen sind Teenager schließlich alle total chaotisch. Aber hey, ich habe doch keine Vorurteile!

 

Charakteristisch für FFF-Demos: kreative Schilder und Plakate.

Es beginnt unspektakulär

Um kurz nach 16.30 Uhr geht es los – ganz unaufgeregt mit der Frage, wer die heutige Sitzung moderieren soll. Alle schauen sich an, zucken mit den Schultern. Nach kurzem Blick in die Runde fällt die Wahl auf Ylva, auch wenn sie die Rolle nicht ganz ohne Protest übernimmt („Ich war aber doch letztes Mal nicht da!“ – „Dann ist das noch besser, um wieder reinzukommen!“ – Sache abgehakt).

Eine feste Leitung gibt es also nicht, notiere ich mir. Dahinter steckt eine einfache Idee, wie mir Ylva im Gespräch erklärt: „Grundsätzlich sind wir basisdemokratisch organisiert. Das heißt, bei uns gibt es nicht unbedingt Posten oder Menschen, die mehr zu sagen haben als andere.“ Das betrifft nicht nur die Plenumsleitung. Auch andere Posten werden immer wieder durchgewechselt, z.B. die der Delegierten. Alle zwei Monate hat hier jemand anders den Job inne.

Im Moment sind das Pauline und Hannes. Und die beiden erzählen auch gleich mal, was so in der letzten Woche auf Bundesebene besprochen wurde. Denn die Delegierten sind das Bindeglied zwischen Ortsgruppe und nationaler Organisation, Sprechorgane in beide Richtungen. Ich verstehe zwar nur wenig zwischen all den Abkürzungen, den Daten und dem Insiderwissen. Aber für alle anderen Anwesenden scheint es Sinn zu ergeben, wenn von der Nord Konferenz TK gesprochen wird, das Strukturprogramm erwähnt wird oder in einer kurzen Abstimmung beschlossen wird, dass die OG Northeim das neutralere Banner für die nächste Demo bekommt. Also gebe ich mich damit zufrieden.

 

Ylva ist eine von vielen Klimaaktivist*innen. (Bild: bpb/BILDKRAFTWERK/Bernd Lammel)

Von wegen chaotisch

Ich bin sowieso viel zu sehr damit beschäftigt, mich in den Strukturen zurechtzufinden. Langsam setzt sich vor meinem inneren Auge das Organisationsmonstrum Fridays For Future zusammen. Denn es gibt nicht nur die Konferenzen auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene. Sie haben auch jeweils ihre eigenen Arbeitsgruppen – genauso wie jede Ortsgruppe. Ylva versucht, das Ganze für mich zu beleuchten: „Wir haben für viele Aufgabenbereiche eine Ansprechperson. So versuchen wir, die Orga aufzuteilen. Aber alle Infos werden ins Plenum weitergeleitet, sodass möglichst keine Wissenshierarchien entstehen.“ Das Plenum sei auch der eigentliche Abstimmungsort, so stehe es in den Plenumsregeln. Außer wenn es mal schnell gehen muss. Dann muss auch mal Whatsapp herhalten. „Mein Whatsapp besteht nur noch aus FFF“, gesteht Ylva lachend.

Auch die Art der Abstimmung ist genau geregelt, erklärt mir die 17-Jährige (Schnappatmung von meiner Seite!): „Normalerweise stimmen wir nach der einfachen Mehrheit ab. Dagegen kann ein Veto eingelegt werden. Dann gibt es nochmal eine Diskussion und dann stimmen wir nach der Zwei-Drittel-Mehrheit ab.“ Gelebte Demokratie kann auch mal anstrengend sein. Meistens gebe es aber einen Konsens, versichert mir Ylva. Zum Teil werde aber auch mal heftig diskutiert.

 

Organisation der vielen Gesichter

Auch das muss organisiert werden: das Klimacamp in der Streikwoche Ende September 2019 vor dem Deutschen Theater.

Davon kann ich mich heute selbst überzeugen. Von der Anmeldung der nächsten Demo (welcher Name?) über die neue Route (muss wegen Wochenmarkt verlegt werden) bis hin zum Syrienkonflikt – genug Themen, über die man sich streiten kann, gibt es definitiv. Besonders der letzte Punkt sorgt für einige Diskussionen. Denn auf nationaler und internationaler Ebene wollen die Verantwortlichen einen solidarischen Brief nicht unterschreiben – aus Respekt für Fridays For Future Türkei. Das Verhalten der Bundesgruppe sorgt hier für einigen Ärger. „Die da oben“ seien schließlich „nicht unsere Vertreter“. Vor allem gegen Luisa Neubauer scheint sich diese Bemerkung zu richten. Immer wieder wird sie namentlich erwähnt. Die Ortsgruppe Göttingen beschließt nach einer Abstimmung, den offenen Brief zu unterschreiben und die allgemeine Anspannung im Raum legt sich wieder ein bisschen. Bis zum nächsten Punkt. FFF Göttingen wurde angefragt, ob sie eine Veranstaltung mit Luisa in Göttingen auf Facebook bewerben wollen. Diese Anfrage wird einstimmig abgelehnt. Schließlich sitzt niemand aus der Göttinger Gruppe auf dem Podium. Die Mitglieder fühlen sich übergangen. Und überhaupt: Luisa!

Auf diese negative Stimmung gegenüber dem bekanntesten deutschen FFF-Gesicht angesprochen, erklärt Ylva, warum alle so sensibel auf den Namen Luisa reagieren: „Wir sehen Fridays For Future und die komplette Klimabewegung als eine große Bewegung, die sehr viele Gesichter hat. Und wir finden es immer traurig, wenn Menschen sich selbst in den Vordergrund rücken.“ Luisa sei nicht die Sprecherin der Bewegung, sondern vielmehr eine von vielen. Ähnlich bei Greta: „Wir sind beeindruckt davon, was sie getan hat, und was sie auch in Deutschland mit der Bewegung erreicht. Aber jetzt ist diese Bewegung nicht mehr nur sie.“ Die Ortsgruppe Göttingen sei deshalb gegen diesen Personenkult, wie Ylva es nennt – eine Einstellung, die sich auch im Umgang mit der Presse zeigt und die ich selbst erlebe.

Auf meine Frage in der Sitzung, wer denn für ein Interview mit mir bereit sei, sehe ich das altbekannte Bild. Alle schauen sich wie zu Beginn kurz an, zucken mit den Schultern. Dann erhebt sich Ylva von ihrem Stuhl („Das kann ich auch noch machen. Ich habe ja auch die Sitzung geleitet.“). Alle sind einverstanden. Wir ziehen uns auf den Flur zurück. Dort erklärt mir meine Gesprächspartnerin, wie sie bei FFF die Interviews auf die Mitglieder verteilen: „Wir behandeln Interviewanfragen immer so, dass sich Menschen dafür bereiterklären, je nachdem welches Medium es ist. Die Interviews geben wir dann immer der Reihe nach durch, sodass sie gleichmäßig verteilt sind und keine Person heraussticht.“ Ein guter Nebeneffekt dieses Prinzips: alle lernen den Umgang mit der Presse. Denn Fridays For Future sei für sie alle auch eine große Chance, immer Neues zu lernen.

 

Der Klimastreik am 20.09.2019 brachte sehr viele Menschen auf die Straßen Göttingens:

 

Ein unaufgeregtes Ende

Eineinhalb Stunden sitze ich nun schon im GUNZ und höre den Diskussionen und Beratungen der FFF Ortsgruppe Göttingen zu. Während bei manchen der Blutdruck steigt, wenn sie nur an Klimademos und Schulstreiks denken (#Boomer), wird hier ein Thema nach dem anderen akribisch abgearbeitet. Und dann geht um 18:00 Uhr ganz unaufgeregt das Treffen der Ortsgruppe Göttingen zu Ende. Die nächste Demo ist organisiert, wichtige Themen besprochen. Ich verlasse den Sitzungsraum und begebe mich auf den Heimweg. Mein Bild von den chaotischen Teenagern muss ich jetzt auf jeden Fall revidieren.

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Verena Pauer, 27, studiert im Master Komparatistik, nach dem Bachelor in Geschichte und Deutscher Philologie. Wenn sie nicht für den Blug über den Campus läuft, ist sie mit der Kamera für das Campus-TV univision unterwegs.

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