Stipendien sind ‚was für Streber. Wer Geld haben will, muss zu den Besten seines Studienfachs gehören, politisch und sozial engagiert sein und – na klar – schon Praktika bei namhaften Unternehmen vorweisen. Das dachte ich zumindest, bevor ich am Wilhelmsplatz war. Dort hat die Uni seit dem Sommersemester 2013 eine eigene Stipendienberatung für ihre Studierenden eingerichtet.
Erste Überraschung: „Man hat auch mit einer zwei vor dem Komma Chancen auf Förderung“, sagt Sjard Seibert, der jeden Donnerstag von 14 bis 16 Uhr eine offene Beratung anbietet. Für mich klang Begabtenförderung bisher elitär, auf Leistung getrimmt – doch das stimmt so inzwischen nicht mehr. „Es gibt Stipendien für alle Lebenslagen“, sagt Seibert. Für Studierende mit Kindern, für chronisch Kranke, für BildungsaufsteigerInnen, für MigrantInnen oder Studierende, die kurz vorm Abschluss stehen, aber kein Bafög mehr bekommen.
Seibert stellt mir die wichtigsten Geldgeber vor. Klar: Die Studienstiftung des deutschen Volkes, das größte und älteste Förderwerk. Aber auch die Parteien, von ganz links (Rosa-Luxemburg-Stiftung) bis rechts der Mitte (Hans-Seidel-Stiftung) finanzieren engagierte und talentierte Studierende. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) unterhält eine Stiftung, daneben gibt es noch viele kleinere Förderwerke wie die Spenersche Stiftung oder den Kölner Gymnasial- und Stiftungsfond, die sich besonders die soziale Situation ihrer StipendiatInnen angucken. Einen Überblick liefert der Stipendienlotse des Bundesbildungsministeriums.
Auswahl gibt es also genug. Doch: Hätte ich auch Chancen auf ein Stipendium? Und welche Förderung passt überhaupt zu mir?
Ich studiere VWL im Master, meine Noten sind gut, aber nicht überragend. Und: Ich bin der Erste aus meiner Familie, der studiert. Seibert stellt mir die SPD-nahe Ebert-Stiftung vor, die den sozialen Background ihrer BewerberInnen berücksichtigt, ähnlich macht es die Böll-Stiftung (Grüne). „Ein Parteibuch ist nicht zwingend erforderlich“, sagt Seibert. Man könne auch bei den Grünen Mitglied sein, und sich trotzdem bei der Ebert-Stiftung bewerben. Was man aber nicht machen sollte: sich über alle Parteifarben hinweg bei Förderwerken bewerben. Ebenso wirke es komisch, wenn man sich beim DGB und gleichzeitig bei der Stiftung der Deutschen Wirtschaft für ein Stipendium bewirbt.
Klingt alles noch etwas allgemein: Doch die offene Beratung ist zunächst auch dafür da, einen Überblick über die verschiedenen Fördermöglichkeiten zu geben. Wer genauere Infos über das für sie/ihn passende Stipendium haben möchte, kann einen Termin für eine weitere Beratung vereinbaren. Insbesondere bei kleineren Stiftungen kommt es oft auf persönliche Details im Lebenslauf an. „In weiteren Gesprächen habe ich auch die Möglichkeit, bei bestimmten Punkten in der Vita noch mal genau nachzufragen“, sagt Seibert „und dann das passende Angebot zu finden.“
Ein gutes Motivationsschreiben sei der erste Türöffner für ein Stipendium. „Wir bieten den Studierenden an, dass wir uns ihre Texte und auch den Lebenslauf noch mal genau angucken“, so Seibert. „Es gibt beim Motivationsschreiben kein richtig oder falsch – wichtig ist, dass es individuell ist.“
Je mehr Seibert mir über die verschiedenen Arten der Förderung berichtet, desto mutiger werde ich auch, es selber mal zu probieren. Und so geht es anscheinend immer mehr Göttinger Studierenden: Seit Beginn des Programms im Sommersemester 2013 haben sich die Beratungskontakte mehr als verdoppelt.
Und die Stipendienlandschaft ist im Wandel. Die Bundesregierung schreibt mit dem Deutschlandstipendium inzwischen eigene Fördermöglichkeiten aus und selbst die konservative Studienstiftung öffnet sich – und schaut zum Beispiel, ob BewerberInnen als Erste aus der Familie die Uni besuchen.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wer sich mit den verschiedenen Fördermöglichkeiten so gut auskennt wie Sjard Seibert wurde doch bestimmt während seines Studiums auch gefördert. Oder?
Seibert lacht, ihm ging es wie mir: Er dachte trotz guter Noten, dass er nur eine geringe Chance hätte. Und hat es deswegen gelassen. Vielleicht geht es mir ja, auch dank der Beratung, anders.
Denn inzwischen weiß ich: Stipendien sind nicht nur für Streber.