Die Tür fällt hinter mir ins Schloss, Sonnenstrahlen kitzeln meine Nasenspitze, ein tiefer Atemzug, eine leichte Brise – in diesem Moment fühle ich mich etwas befreiter. In der letzten Zeit war ich durch Corona und frisch begonnener Masterarbeit wirklich viel zu wenig draußen. Ein langer Seufzer versucht das beklemmende Wissen, dass wohl der ganze Sommer so sein wird, zu vertreiben.
Die Bustür öffnet sich, ich steige ein. Mein Bedürfnis regelmäßig raus zu kommen und die Umwelt zu genießen, spiegelt sich auch in meinem Biologie-Studiengang wieder. In den Wald zu gehen wirkt irgendwie beruhigend – die Farben, die Gerüche… Normalerweise suche ich mir eine Wanderroute über die Apps Komoot (Android, IOS) oder Outdooractive (Android) raus. Heute gehe ich aber eine Strecke, die ich bei einer botanischen Exkursion kennengelernt habe: am Westerberg nahe Klein Lengden. Als Einwohner*in Göttingens hat man ja das Glück von einem tollen Umland und fantastischen Wäldern umgeben zu sein. Die Natur bietet viel, wenn man anfängt die eigene Wahrnehmung zu schärfen und bewusst auf die Umgebung achtet. Keine Sorge! Dazu benötigt man auch nicht unbedingt ein dickes, schnödes, unbebildertes Bestimmungsbuch, wie es bei Biolog*innen die Regel ist. Es gibt mittlerweile einige kostenfreie Apps, die bei der Bestimmung helfen und die Neugierde etwas befriedigen können.
Beim Betreten des Waldstücks auf dem Weg hinter der roten Schranke werde ich sofort von einer Fülle von Vogelstimmen umgeben. Leider bin ich nicht darin geübt. Im Wald sind die kleinen gefiederten Sänger oft gut versteckt zu. Wenn man die einzelnen Gesänge den Arten zuordnen kann, bleibt dies jedoch kein anonymes Konzert mehr – auch dafür gibt es spezielle technische Bestimmungshelfer. Falls ihr euch für die Vogelbestimmung interessiert lohnt es sich die App „Vögel am Futterhaus“ (Android, IOS) oder „Picture Bird: Birds Identifier“ (Android) auszuprobieren.
Beim Aufstieg durchquere ich einen für das Göttinger Umland typischen Buchenwald. Es sind im Allgemeinen hauptsächlich Waldmeister- und Orchideenbuchenwälder. Entlang des Weges blühen Gundermann, Silberblättrige Goldnessel und Teufelskralle. Mit der automatischen Bilderkennung in Bestimmungsapps wie „Flora Incognita“ (Android, IOS) und „Pl@ntNet Pflanzenbestimmung“ (Android) lassen sich auch die anderen Arten ganz leicht mindestens annähernd bestimmen. Unter meinen Kommiliton*innen ist die Nutzung nicht ungewöhnlich, wenn sie „normal“ unterwegs sind, etwas erspähen und ausnahmsweise kein Bestimmungsbuch zur Hand haben. Ich selbst verwende gerne „iNaturalist“ (für Pflanzen und Tiere, Android). Die GPS-Daten der Fotos werden als Kartierung in die Datenbank dieses globalen Public Science Projekts aufgenommen. Ich finde es super auch in meiner Freizeit etwas beitragen zu können. Den Ergebnissen der Apps gegenüber darf man aber ruhig kritisch sein. In der Regel gehen die Vorschläge in die richtige Richtung, aber oft sehen sich Arten zum Verwechseln ähnlich und können nur anhand von spezifischen Kleinigkeiten unterschieden werden. Trotzdem verspreche ich euch, dass das eintönige Grün am Wegesrand plötzlich sehr vielfältig erscheint. Entlang des Rückens des Westerbergs kann ich die dominante Art auch mit geschlossenen Augen erraten. Es riecht intensiv nach Knoblauch – zu meinen Wanderschuhen breitet sich ein Meer aus Bärlauch aus. Hier bleibe ich eine Weile und genieße das Lichtspiel, das sich durch die grünen Baumwipfel ergibt. Um solche Anblicke zu bewahren ist es sehr wichtig darauf zu achten beim Entdecken die Bestände oder Lebensräume nicht zu zerstören oder zu beeinträchtigen z.B. durch Trittschäden. Nach dem steilen Abstieg auf dem Weg zurück zur Bushaltestelle laufe ich entlang von gelb blühenden Rapsfeldern gesäumt von Gemeinem Erdrauch. Ein schöner farbenfroher Abschluss für meinen Mikrourlaub – ein paar Stunden am Westerberg.
Hier ein paar Arten, die man zurzeit in Göttingens Umgebung finden kann, vielleicht habt ihr sie ja auch schon alle entdeckt: