Es ist Geburtstag angesagt! Das Grundgesetz, also die deutsche Verfassung, feiert nämlich heute sein 70-jähriges Bestehen. Am 23. Mai 1949 ist das vom Parlamentarischen Rat entworfene Grundgesetz verkündet worden – viel mehr weiß ich leider nicht darüber. Um mehr zu erfahren, habe ich direkt da nachgefragt, wo sie es wissen müssen: beim Bundesverfassungsgericht! Genauer gesagt bei Professorin Christine Langenfeld. Sie hat den Lehrstuhl für Staatsrecht hier an der Universität inne und ist darüber hinaus 2016 zur Richterin am Bundesverfassungsgericht ernannt worden. Was sie über die Bedeutung des Grundgesetzes, über ihren eigenen Werdegang und über die Uni Göttingen zu erzählen hat, lest ihr hier – exklusiv auf dem BLUG!
Als Sie 1980 mit Ihrem Jurastudium angefangen haben, gab es nur eine einzige Frau in der damaligen Besetzung des Verfassungsgerichtes. Aktuell hat das BVerfG den höchsten Frauenanteil in seiner Geschichte. Haben Sie zu Anfang Ihrer Karriere schon mal daran gedacht, dass Sie einmal Verfassungsrichterin sein könnten?
Daran habe ich zu Beginn meines Studiums und auch in dessen Verlauf nicht gedacht, das lag damals außerhalb meiner Vorstellungen. Wenn mich damals jemand danach gefragt hätte, hätte ich sicher gesagt, das wäre wunderbar, wenn das gelingen würde, aber über solche Möglichkeiten macht man sich in diesem Stadium der Ausbildung noch keine Gedanken. Ich war vielmehr damit beschäftigt, möglichst erfolgreich durch das Studium zu kommen und viele neue Erfahrungen zu sammeln, auch im Ausland.
Seit Juli 2016 sind Sie Verfassungsrichterin. Was wollten Sie früher mal werden, und warum haben Sie sich dann überhaupt für ein Jurastudium entschieden?
Ich wollte früher in den Journalismus gehen, das war mein erklärtes Ziel. Rechtswissenschaften habe ich studiert, um mich für die Tätigkeit als Journalistin zu wappnen. Ich fand es wichtig, hierfür nicht nur ein Journalismus-Studium zu absolvieren, sondern erstmal eine Grundlage in Form eines Fachstudiums zu legen und das war für mich dann die Rechtswissenschaft.
Studiert haben Sie ja nicht in Göttingen. 2000 sind Sie dann als Professorin hergekommen. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag an der Universität?
Ich war damals sehr froh, dass ich mit dem Abschluss meiner Habilitation bereits einen Ruf auf eine Professur hatte. Die Universität Göttingen hatte einen hervorragenden Leumund, den hat die juristische Fakultät bis heute. Ich bin damals in die für mich heiligen Hallen des Juridicum eingetreten und konnte gar nicht richtig fassen, dass ich nun ordentliche Professorin war. An dieses Glücksgefühl erinnere ich mich. Ich hatte im Juridicum ein Büro im ersten Stock, das ich einrichten konnte, und habe angefangen, mein Lehrstuhl-Team zusammenzustellen. Das war ein sehr schönes Gefühl, gleichzeitig wurde mir aber auch klar, dass für mich jetzt wirklich der Ernst des Lebens anfängt, und ich mich als Wissenschaftlerin und als Professorin bewähren muss. Insgesamt war dieser erste Tag in Göttingen ein sehr ernster, aber eben auch ein sehr schöner Tag.
Neben Ihrer Tätigkeit als Verfassungsrichterin haben Sie in Göttingen noch den Lehrstuhl für Staatsrecht inne. Fehlt Ihnen manchmal der Alltag und das Leben hier an der Uni, bzw. auch die Lehre und der Kontakt zu den Studierenden?
Ich bin regelmäßig an meinem Lehrstuhl, um mit meinen Mitarbeitern zusammen zu sein und die anstehenden Publikationsprojekte, die ich immer noch, wenn auch angesichts meiner Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht in reduzierter Form, verfolge, zu besprechen. Ich betreue auch noch Doktoranden und Habilitanden. In regelmäßigen Abständen biete ich auch Seminare an, die sehr gut besucht sind. Der tägliche Kontakt zu den Studierenden, gerade auch in den großen Vorlesungen, fehlt mir aber schon, das muss ich sagen. Das ist ein Kontakt mit der Wirklichkeit, mit jungen Menschen und ihren Vorstellungen, der mir immer sehr wichtig war und Freude gemacht hat. Das war auch einer der Gründe, warum ich Professorin geworden bin: Ich lehre einfach sehr gerne. Was mir allerdings nicht so sehr fehlt, sind die vielen bürokratischen Aufgaben, die der Professorenschaft in den letzten Jahren in besonderer Weise zugewachsen sind. Aber das, glaube ich, wird niemanden überraschen. Ansonsten versuche ich immer noch wissenschaftlich tätig zu sein, zu publizieren, akademische Vorträge zu halten usw., soweit ich dies zeitlich einrichten kann. Ich habe das Band zur wissenschaftlichen Tätigkeit also nicht zerschnitten, nur steht jetzt eben die Tätigkeit in Karlsruhe im Vordergrund.
Das Grundgesetz wird am 23. Mai 2019 70 Jahre alt. In diesem Zeitraum hat sich die Gesellschaft sehr verändert. Wie steht die deutsche Verfassung heute da und sollte sie in einigen Bereichen modernisiert werden?
Meine These ist, dass das Grundgesetz sich sehr bewährt hat und das gilt auch heute zu seinem 70. Geburtstag. Grundsätzlich sollte man an Verfassungen nur dann ergänzen, wenn es wirklich geboten ist. So manche der etwas über 60 Änderungen, die das Grundgesetz in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, haben sich im Rückblick als nicht so glücklich erwiesen bzw. müssen sich erst noch bewähren. Dies gilt vor allem für das Verhältnis von Bund und Ländern, auf das die meisten Änderungen entfallen. Insbesondere im Bereich der Grundrechte ist es aber gelungen, vor allem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, moderne Entwicklungen, die sich durch die Digitalisierung oder die Änderung des Familienbildes ergeben haben, um zwei wichtige Bereiche herauszugreifen, in der Verfassungsinterpretation aufzunehmen. Das Grundgesetz ist ein lebendiges Verfassungsdokument, das auf neue Herausforderungen reagieren kann. Und die Verfassung legt nur den Rahmen für das Zusammenleben fest. Innerhalb dieses Rahmens entfaltet sich der politische Prozess. Insofern muss man darauf achtgeben, nicht zu vieles zu konstitutionalisieren, also nicht auf jede neue Entwicklung mit der Änderung der Verfassung zu reagieren. Dadurch geht politische Gestaltungsmacht verloren, die Grundlage einer lebendigen Demokratie ist.
Gibt es einen Artikel, den Sie besonders wichtig finden, oder der für Sie in irgendeiner Art und Weise besonders ist?
Ich würde sagen, dass das Besondere am Anfang steht. Das ist Artikel 1 des Grundgesetzes, der den Schutz der Menschenwürde und ihre Unantastbarkeit postuliert. Es ist ein Artikel, der selbstverständlich auch immer im Kontext mit den historischen Erfahrungen Deutschlands zu sehen ist. Wichtig ist auch, dass im dritten Absatz von Artikel 1 steht, dass alle staatliche Gewalt an die Grundrechte gebunden ist. Das ist eine klare, sehr wichtige und auch ganz entscheidende Aussage. Alle staatliche Gewalt, die Gesetzgebung, aber natürlich auch Regierung und Verwaltung und die Gerichte sind an die Grundrechte gebunden, die dadurch unmittelbar Teil der Rechtsordnung werden und jedem Bürger und jeder Bürgerin diese elementaren Rechte sichern.
Von einigen wird das Grundgesetz als „beste Verfassung der Welt“ bezeichnet. Wie sehen Sie das?
Die Behauptung, das Grundgesetz sei die beste Verfassung der Welt, ist ein sehr starkes, vielleicht zu starkes Wort. Allerdings ist das Grundgesetz die beste Verfassung, die es auf deutschem Boden jemals gegeben hat, das mit Sicherheit. Und es ist eine Verfassung, die in ganz außerordentlicher Weise in die Köpfe und Herzen der Menschen Eingang gefunden hat. Mit dem Grundgesetz ist eine Ordnung für unser Zusammenleben in Deutschland geschaffen worden, mit der sich die Menschen identifizieren, hinter der sie sich versammeln. Das Grundgesetz hat eine enorme Integrationswirkung für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger entfaltet, das ist ein sehr positiver Befund, der das Grundgesetz auszeichnet.
Zum Abschluss: Was würden Sie Studierenden, vielleicht auch gerade den Nicht-Juristen, gerne über das Grundgesetz beibringen oder mit auf den Weg geben?
Das Grundgesetz ist die beste Verfassung, die auf deutschem Boden jemals Geltung hatte, man muss es bewahren, schätzen und seinen Geist lebendig erhalten. Das ist, wie wir auch in Deutschland angesichts des Erstarkens populistischer Strömungen sehen, eine große Aufgabe, die uns alle betrifft und angeht. Das Grundgesetz schreibt in seinen Artikeln 1 bis 19 einen Katalog von Rechten der Einzelnen fest, die all das enthalten, was Bürgerinnen und Bürger in einem modernen Gemeinwesen für sich von einer Verfassung erwarten können. Es ist eine Verfassung, die Freiheit und Chancengleichheit sichert, nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit. Die Grundrechte werden von der Gesetzgebung und der Verwaltung beachtet und im Fall der Verletzung von der Justiz geschützt und durchgesetzt, in letzter Instanz durch das Bundesverfassungsgericht. Das Grundgesetz ist eine Ordnung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit mit starker Integrationskraft. Insofern sollten wir alles tun, dass es weiterhin die Wertschätzung in unserer Gesellschaft erfährt, die es bisher genossen hat. Dafür muss man sich an die Ursprünge der Verfassung erinnern, wie sie entstanden ist, und an das, was in dieser Gesellschaft im Rahmen dieser Verfassungsordnung erreicht worden ist. Dass wir bislang in Deutschland ein großes Maß an politischer Stabilität genießen konnten, dass Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit tatsächlich gelebt werden und nicht nur Phrase sind, das hat auch mit dem Grundgesetz zu tun, vor allen Dingen aber damit, dass es eine Ordnung ist, in der sich die Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit aufgehoben fühlen. Dass dies so bleibt, ist aber nicht garantiert. Der Erfolg des Grundgesetzes lebt auch von der Verankerung in der Gesellschaft. Und das ist, wie uns die Entwicklungen in verschiedenen EU-Staaten, in denen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor großen Herausforderungen stehen, zeigen, keine Selbstverständlichkeit.
Ihr habt noch nicht genug? Mehr Infos zum Grundgesetz gibt es hier, hier und hier!