Die Wohnungssuche als Ersti kann sehr frustrierend sein. Falls ihr kurz davor seid, die Hoffnung zu verlieren, solltet ihr euch diesen Artikel unbedingt durchlesen:
Zuhause ausziehen ist gut. Es bedeutet erwachsen werden, seine eigenen Wege finden. Es ist der erste Schritt in die Unabhängigkeit, ein Leben ohne Passkontrolle. Doch als Ersti an der Uni eine gute WG zu finden, ist schwierig. Man ist jung und kommt gerade erst aus dem Hotel Mama, man ist nicht cool. Ja, nicht nur uncool, sondern auch naiv sind diese treudoofen Welpen. Ein schönes Zimmer mit hippen MitbewohnerInnen, möglichst günstig und zentral gelegen? Na, das muss doch zu finden sein! Das dachte ich zumindest vor meiner ersten WG-Suche. Aber naja, naiver Ersti halt.
In meine erste Wohnungsbesichtigung damals ging ich mit großen Erwartungen. Schließlich begann jetzt die Studienzeit und damit die beste Zeit meines Lebens. Gemeinsames Kochen mit Gleichgesinnten, mit denen man sich betrinkt und über die wichtigen Dinge redet. All die wichtigen Dinge, über die Studierende eben zu reden haben: Politik, Literatur, alles. Eine bunte Welt voller Konzertbesuche und kreativer Leute sollte es sein.
WG Nummer eins klang vielversprechend. Nicht zu teuer, nah am Zentrum und ein Zimmer nach Süden. Vor meiner ersten Besichtigung war ich so nervös, dass ich mir extra eine neue Jacke gekauft hatte. Eine, die sagt: „Oh ja, ich bin jetzt Studentin und so was von erwachsen“ im Gegensatz zu meiner alten „Oh ja, ich bin Schülerin und habe mich in Schokolade gesetzt“-Jacke. Es stellte sich raus, dass meine Nervosität nicht ganz unberechtigt war. Als ich klingeln wollte, öffnete mir ein Mitbewerber bereits die Tür und wies mich zum Verhörraum. Hier warteten Sarah und ihr Notizblock auf mich. Wer ich denn nochmal sei? Was ich studiere? Wie alt? Was für Hobbys ich habe? Und vor allem, ob ich einen Toaster besitze. Alles wurde ordentlich nach einem Fragenkatalog abgearbeitet. Schon nach zehn Minuten stand ich, etwas verdutzt, wieder vor der Haustür und machte dem nächsten Bewerber Platz. Ein schüchterner Asiate, der in wenigen Sekunden deutsche Effizienz kennenlernen würde.
Wenig später kam eine Mail, die erklärte, dass ich wirklich sympathisch war, aber jemand anderer leider sympathischer. Naja. Aber ich ließ mich nicht entmutigen und stand bald vor einer neuen Haustür. Hier begrüßte mich ein netter Herr, der ein Zimmer zur Untermiete anbot. Freundlich lächelnd zeigte er mir seine Wohn-Innovation. Und hier konnte die deutsche Effizienz ihren Aktenkoffer packen und nach Hause gehen, denn so, und nur so, sah optimale Raumnutzung aus. Quer durch sein Wohnzimmer hatte mein potenzieller Vermieter eine Stehtrennwand und ein schweres, schwarzes Regal als Raumteiler aufgestellt. Et voilà: Aus Eins mach Zwei. „Rechts für mich und links für Sie“, lächelte er mich an. Alles klar. Ich blickte betreten zur Seite und hoffte, dass er für das Badezimmer keine ähnliche Lösung gefunden hatte.
Die nächste Wohnung sollte meine in der Schule gewonnene Erkenntnis, dass Mathe ein Arschloch ist um die Erkenntnis erweitern, dass Mathestudierende das wohl auch sein können. Zumindest in meinem Fall. Der besagte Mathestudent hieß Matze. Matze war ein blasser, grau gekleideter junger Mann mit Brille. „Du bist zu spät, es ist zehn nach vier“, begrüßte er mich und bewies sogleich sein Talent für Zahlen. Ich entschuldigte mich und schlurfte etwas widerwillig in seine Küche. Es müffelte ein bisschen, aber vielleicht roch sie ja so, die elternlose Freiheit. Der Rest des Besuchs lief etwa so ab: Matze will wissen, was ich studiere. „Deutsch und Englisch“, sage ich. „Auf Lehramt?“, fragt er. „Nö“, antworte ich, „nur so aus Spaß“. „Ach so“. Matzes Blick wird glasig und ich bin mir sicher: Der kleine Stinker rechnet gerade aus, wie viele Steuern er mal an mein späteres arbeitsloses Geisteswissenschaftler-Ich abdrücken muss. Das habe ich nicht nötig, denkt der naive Ersti in mir, setzt seinen Namen auf die Liste und geht. Oh, naiver Ersti, und wie nötig du das hast.
Mein nächstes Ziel war die Rote Straße. Der Name klang sehr vielversprechend in punkto gemeinsames Kochen und über die wichtigen Dinge reden. Denn die wichtigen Dinge erwarten einen hier schon vor der Haustür. Auf Bettlaken gemalte Parolen gegen Sexismus, Rassismus und natürlich den Papst hingen aus den Fenstern. In der Tür begrüßte mich ein großer, schlaksiger Mann mit Wuschelhaar. Wuschelhaar war nur der Erste aus der WG, die stolze neun Personen zählte. Darunter „Stachel“, ein Geschlechterforschungs-Student, der mich unter unzähligen Piercings anlächelte. Zumindest glaube ich, dass er lächelte. Die Gruppe war durchmischt, sie studierten Soziologie, Ethnologie, aber auch Politik, Geschichte und Deutsch. Wenn Matze das gewusst hätte! Ein wahres Nest sozialer Unsicherheit. Vielleicht gehörte ich ja hierher, dachte ich und schöpfte zaghaft Hoffnung. Doch nach der Vorstellungsrunde ließ meine Hoffnung schlaff die Arme sinken, seufzte und setzte sich wieder auf die Wartebank. Hier konnte ich einfach nicht mithalten. Allesamt politisch engagiert und in Organisationen für Integration und Gleichberechtigung. Als der Typ zu meiner Linken eine flammende Rede gegen den Kapitalismus hielt, versuchte ich nur unauffällig, den Schnipsel meiner neuen Jacke zurück in den Kragen zu schieben. Was ich in meiner Freizeit so mache? „Och… ich les ganz gern… Freunde treffen und so was…“… ein Haufen resignierter Gesichter, die auf eine würdigere Antwort warteten. Ich konnte keine finden. Auch hier also kein neues Zuhause.
Viele Besichtigungen, Namenslisten und Tassen Tee später habe ich sie dann aber doch gefunden, die Super-WG. Drei nette Mädchen, mein Toaster und ich wohnten glücklich zusammen. Wir kochten, tranken und waren uns mehr als nur Mitbewohnerinnen. Keine von ihnen war ein Ersti, aber sie waren bereit, über mein Manko hinwegzusehen, schließlich hatte ich einen Toaster.