Das Basilikum auf meiner Fensterbank überlebte etwa drei Wochen. Eine unglückliche Kombination aus zuerst zu viel und dann zu wenig Wasser hat schließlich dazu geführt, dass die Pflanze an einen besseren Ort gekommen ist. Ein Schicksal, das bereits mehrere meiner Zimmerpflanzen ereilt hat. Ich bin weit entfernt davon, einen grünen Daumen zu haben. Mein Interesse für Pflanzen beginnt meistens erst dann, wenn ich herausgefunden habe, dass man sie zu einer Beilage machen könnte. Doch dann kam sie: Amorphophallus titanum, die Titanwurz im Alten Botanischen Garten. Nein, keine normale Wurz. Auch keine Maxi- oder Megawurz. Eine Titanwurz.
Warum gerade die Titanwurz meine Begeisterung für die Pflanzenwelt geweckt hat? Sie hat Attitude. Sie ist eine Dramaqueen. Sie macht eine Show. Für nur eine Nacht öffnet sich ihre raketenartige Knospe und offenbart eine dunkelrote Blüte. Dann fällt sie in sich zusammen und braucht Jahre um sich wieder zu regenerieren. Wie gesagt: Dramaqueen.
„Und, wann ist es so weit?“ ist wohl die Frage, die Michael Schwerdtfeger in letzter Zeit am häufigsten beantworten musste. Er ist der Kustos des Alten Botanischen Gartens und Pflegevater der Titanwurz. „Ich zwinkere dann immer und sage ‚Mittwoch, 16 Uhr 45!“, lacht er. Aber voraussagen könne das natürlich niemand. Vor allem, weil jede Pflanze ihr Erblühen selber bestimmt. „Man weiß nicht, wie viel unsere noch vorhat,“ sagt Schwerdtfeger. Mit bis zu drei Metern kann die Amorphallus titanum den größten Blütenstand der Welt entwickeln. 1,20 Meter war der Stand am Montagabend. Es ist also noch durchaus Luft nach oben.
„In der Nacht, in der sie blüht, stinkt sie dann ganz fürchterlich“, erzählt Schwerdtfeger. Es sei vergleichbar mit einer toten Kuh. In seiner Heimat Sumatra lockt der Titanwurz damit Fliegen zu seiner Bestäubung an. In Göttingen lockt sie Besucher: Über 500 waren seien es allein am vergangenen Sonntag gewesen, schätzt Schwerdtfeger. Für die Nacht des Erblühens sagt er schmunzelnd Volksfeststimmung voraus. Die richtige Umgebung für die Dramaqueen also. Und ich werde auf jeden Fall dabei sein!
Update!
Ich stehe bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt in einer Schlange vor einem Gewächshaus, aus dem ein muffiger Geruch wabert. Für eine Pflanze – ich korrigiere: für die Titanwurz. Wie man seinen Samstagabend halt so verbringt.
Mein Vordermann hat die Idee, aus einem Bauchladen warme Getränke zu verkaufen. Er würde heute Abend wahrscheinlich ein Vermögen machen. Medienprofi, wie die Titanwurz mittlerweile eine ist, öffnet sie sich arbeitnehmerfreundlich an einem Samstagnachmittag. Der Andrang ist entsprechend: Ich bin nach 40 Minuten Kälte an der Tür des Cycadeenhauses angekommen. Als erstes begegnet mir der Geruch. In dem Versuch, das Wort „Kadaver“ zu vermeiden, beschreibe ich ihn mal so: durchdringend, aber nicht unmöglich zu ertragen.
Dann steht sie vor mir: die Amorphophallus Titanum, mittlerweile 1,85 Meter hoch und umgeben von einem samtigen, dunkelrot schimmernden, aufgefächerten Blatt. Das wochenlange Warten und Fiebern hat sich also gelohnt! Und nach ein paar Fotos und so wenig tiefen Atemzügen wie möglich ist es auch schon wieder vorbei. Die erste Göttinger Titanwurz hat endlich geblüht, der Alte Botanische Garten war in aller Munde (übrigens: der Alte Botanische Garten ist auch ohne Titanwurzblüte mal einen Besuch wert) und ich werde vielleicht nochmal einen neuen Versuch mit einem Basilikum starten…
Ihr habt die Titanwurzblüte verpasst? Kein Problem: Hier seht ihr in knackigen 22 Sekunden, was Göttingen für Wochen Gesprächsstoff geliefert hat.