Draußen regnet es, auf dem Tisch stehen zwei Teekannen, Schwarz und Pfefferminz. Daneben liegen bunte Zeitschriften. Janice und Merle freuen sich über meinen Besuch. Ich möchte mit ihnen über die Radikarla* sprechen, das feministische Zine, das sie vor zwei Jahren zu neuem Leben erweckt haben. Denn die Radikarla* ist ein wahrer Schatz aus den 90ern, den sie nur aus Zufall wiedergefunden haben…
Die beiden Studentinnen der Sozialwissenschaften arbeiteten Anfang 2017 beim AStA, als Victoria Hegner als Gleichstellungsbeauftragte der Philosophischen Fakultät im Archiv zufällig auf die bis dahin unbekannte Radikarla stieß und sich an die beiden wandte. Selbst angefertigte Zeichnungen, aufwendig zusammen kopierte Layouts und einmalige feministische Texte von Studentinnen; mehr als zwei Jahrzehnte waren nach den drei Ausgaben 1993/94 vergangen. Schnell war man sich sicher, dass hier Potential lauert. „Als wir die Radikarla zum ersten Mal in den Händen gehalten haben, waren wir begeistert und wussten sofort, das muss irgendwie weitergeführt werden. Dieses Zine darf nicht länger in irgendwelchen Archiven liegen“, die Begeisterung glitzert Merle immer noch in den Augen. Mit der neuen Auflage kamen auch einige Aktualisierungen –wie zum Beispiel das Gendersternchen hinter Radikarla*. Es steht vor allem für die Inklusivität der Redaktion, also dass jede*r unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung Beiträge verfassen kann, aber auch für die der Leser*innenschaft. Das Zine ist nicht (mehr) nur auf Frauen und Lesben ausgerichtet, sondern auf eine breite Zielgruppe, zu der alle Personen gehören, die sich kritisch mit den entsprechenden Themen auseinandersetzen möchten.
Im WiSe 2019/Sose 2020 wird die Radikarla*-Redaktion durch Kreativität im Studium, die jedes Semester interessante und fächerübergreifende Projektideen fördern, unterstützt; eine finanzielle Erleichterung, die noch ein bis zwei weitere Ausgaben sichern wird. Was danach kommt, können mir Janice und Merle noch nicht sagen. ,,Die Druckkosten sind unsere Hürde. Wir bekommen für unsere redaktionelle Arbeit ja kein Geld, die Fördermittel fließen lediglich in den Druck. Wie wir das auf Dauer finanzieren sollen, wird sich noch entscheiden.“ Ich selbst lese die Radikarla* gerne. Besonders ihre Offenheit gegenüber kritischen, aber auch sensiblen Themen wie Schwangerschaftsabbrüchen und sexueller Gewalt finde ich wichtig.
In der ersten Ausgabe der Neuauflage im Oktober 2017 geht es um Themen wie Foodshaming, Reproduktionsmedizin, aber auch um die Wiederentdeckung der Radikarla*. Es folgen bis September 2019 fünf weitere Ausgaben, die aus den Auslageregalen der Uni mit ihren selbst designten bunten Covern immer wieder meinen Blick auf sich ziehen. Als Frauen*Lesbenzeitschrift sollte sie in den 90ern Feminist*innen zusammenbringen, gemeinsam über queere Themen sprechen und sensible Inhalte und Problematiken diskutieren -allesamt Bemühungen, die ihre Aktualität nicht verloren haben. Die Radikarla* soll deshalb auch heute noch den kritischen Diskurs fördern. Dabei ist es das Ziel, einen gewissen sozialwissenschaftlichen Ansatz beizubehalten, allerdings nicht in Form akademischer Hausarbeiten, wie mir Janice erklärt: „Wir wollten die Themen, Inhalte und Diskussionen aus den Seminaren in eine Form übertragen, die für ein breiteres Publikum ebenso ansprechend ist, wie für andere Student*innen oder Personen, die sich mit feministischen Diskursen und Diskussionen schon länger beschäftigen.“ Eine breitere Masse soll erreicht werden, vielleicht auch außerhalb der Bubble, die sich ohnehin schon mit diesen Themen auseinandersetzt. Dafür werden auch immer neue Redakteur*innen mit neuen Perspektiven gesucht. Neue Denkanstöße, kreative Ideen und persönliche Geschichten aus unterschiedlichen Backgrounds machen die Radikarla* zu dem progressiven Zine, das es ist. „Wir sind alle aus den unterschiedlichsten Disziplinen, der Austausch und die Diskussionen sind daher immer sehr fruchtbar.“
Während unseres Gesprächs habe ich Lust bekommen, selbst einen Beitrag zu verfassen. Das Thema dürfe ich auch selbst wählen, man bespreche es dann gemeinsam in einer Redaktionssitzung und es gäbe auch immer die Möglichkeit für eine komplett anonyme Handhabung und Veröffentlichung. Ob ich es tatsächlich mache, weiß ich nicht (die Zeit!), reizvoll ist es allemal. Als ich meinen Tee ausgetrunken habe, kommt auch die Gemütlichkeit zum Ende, ich muss hinaus in den Regen. Merle drückt mir noch schnell alle Radikarla*-Ausgaben der zweiten Generation in die Hand, einige kenne ich noch nicht. Ich weiß nun aber, wie ich den Rest dieses kalten Winternachmittags verbringen werde.
Wer in allen Radikarla*s stöbern möchte, sie aber nicht in Print zur Hand hat, findet sie hier in elektronischer Form.