Verständigung zwischen Tour Eiffel und Bismarckturm

Es ist ziemlich voll an diesem Montagabend im ZHG. Lautes Stimmengewirr erhebt sich über der Menschenmenge. Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die sich für den Tandem-Abend interessiert. Auf der riesigen rot gefliesten Freifläche zwischen den Säulen ist ein Bereich mit Pinnwänden abgesteckt. Dort sind Zettel mit allen möglichen Sprachen angeheftet: „Spanisch“, „Englisch“, „Arabisch“, „Portugiesisch“.   Ich schiebe mich durch die Menschenmenge. Am anderen Ende entdecke ich ein Schild: „Französisch“… Ja! Da will ich hin. Am Stand angekommen, klebe ich mir zwei Schilder auf die Brust: in grün „Deutsch“, in rot „Französisch“. Das ist hier der Code für „Biete Deutsch, Suche Französisch!“

Ziemlich voll im ZHG.

Ich war im Ausland. Ein Semester lang habe ich in Paris studiert und meine Sprachkenntnisse aufpoliert. Doch ein Jahr später sitze ich in Deutschland und stelle fest: Verstehen klappt noch super (ich habe schließlich weiterhin Filme und Serien auf Französisch geschaut – Arte sei Dank!), nur mit dem Sprechen läuft es nicht mehr so gut.

WIE ALLES BEGANN…

So war der Stand Anfang Oktober, bevor ich mich dazu entschieden habe, ein Sprach-Tandem zu machen. Das heißt: Ich als deutsche Muttersprachlerin treffe mich mit einer Person, die französisch spricht, und wir unterhalten uns abwechselnd in beiden Sprachen. So profitieren beide. Für mich stand fest, dass ich das mal ausprobieren sollte. Nach kurzer Recherche fand ich an der Uni zwei Möglichkeiten, eine*n Tandem-Partner*in zu bekommen. Entweder online anmelden und jemanden zugewiesen bekommen oder zum Tandem-Abend gehen und direkt persönlich suchen. Der Tandem-Abend wird immer zum Anfang des Semesters von InDiGU (Integration und Diversität an der Göttinger Universität) im ZHG organisiert. Ich entschied mich für die direkte Konfrontation und den Abend im ZHG. Möge das Experiment beginnen!

Grün steht für „Die Sprache kann ich“, Rot für „Die muss ich lernen“.

Einziges Problem: am Französisch-Stand sind keine Französisch-Muttersprachler*innen zu sehen. Ungefähr 20 Deutsche stehen hier rum und warten. Ich habe die Hoffnung schon fast aufgegeben, aber nach einer viertel Stunde nähern sich fünf Personen dem Stand und… welch ein Wunder: eine Gruppe Französinnen und Franzosen. Wir stürzen uns auf sie. Sie tun mir schon fast leid, wie sie hilflos der Masse an lernwütigen Deutschen gegenüber stehen. Es folgt der übliche Dialog: Wie heißt du? Was studierst du? Warum bist du in Göttingen? Wie lange? Hättest du Lust dich zu treffen? Ja? Vielleicht? Wir können ja mal Nummern tauschen und dann sehen? Wie heißt du nochmal? Achso! Ja, war nett dich kennengelernt zu haben. Wir schreiben! Ja! Schönen Abend noch! Bis bald!

 

Ein bisschen fühle ich mich wie beim Speed-Dating. Nach über einer Stunde trete ich dann schließlich den Heimweg an – mit einer Nummer und einer Facebook-Freundschaft mehr. Mal schauen, was daraus wird.

SEINEN LAUF NAHM…

Seit ein paar Tagen schreibe ich jetzt schon mit Gillian, meiner neuen Tandem-Partnerin auf Facebook. Heute wollen wir uns das erste Mal treffen. Nervös bin ich schon ein bisschen. Wir treffen uns im Café. Während ich auf sie warte, schießen mir tausende Fragen durch den Kopf – ok nicht tausende, aber einige sind es schon: Über was reden wir? Werden wir Themen finden oder uns anschweigen? Werden wir uns überhaupt verstehen? Ich komme mir vor, als würde ich zu einem Date gehen.

Als wir dann im Café sitzen, vor uns einen Latte Macchiato und einen großen Café au Lait, geht alles sehr leicht – nach ein paar anfänglichen Schwierigkeiten, Wortfindungsproblemen und verlegenem Gelächter. Von dem obligatorischen Gespräch über eine ganz bestimmte Video-On-Demand-Plattform streifen wir über Themen wie schöne Städte in Deutschland (gut, dass sie sich besser auskennt als ich), ländertypische Essgewohnheiten, über Weihnachtsmärkte und kommen schließlich zur Musik. Ob ich französische Lieder kenne? Natürlich, ich hatte schließlich neun Jahre Französischunterricht mit CD-Spieler und Liedtexten als festen Bestandteilen des Unterrichts. Immer wieder wechseln wir zwischen Deutsch und Französisch hin und her. Einen strickten Plan haben wir nicht gemacht. Finde ich aber ganz gut so.

So viele Länder, so viele Möglichkeiten.

Und auf einmal sind eineinhalb Stunden vorbei. Draußen ist es dunkel geworden und wir machen uns auf den Heimweg. Nächste Woche wollen wir uns wieder treffen.

…UND DOCH ENDEN MUSSTE

Das war im Oktober. Jetzt ist das Semester vorbei. Das heißt für Gillian, die in Göttingen ihr Erasmussemester absolviert hat, dass sie wieder zurück nach Frankreich geht. Für mich bedeutet das, dass ich unser Tandem Revue passieren lasse.

Freundinnen sind wir nicht wirklich geworden. Wir verstehen uns zwar gut, aber für mehr als unsere wöchentlichen Kaffeetreffen hat es nicht gereicht. Die verliefen auch nicht immer ganz so locker, wie unser erstes Treffen. Wir waren eigentlich nur Lernpartnerinnen, die voneinander profitiert haben. Das lag aber auch an unseren anscheinend unvereinbaren Terminkalendern; dass wir es geschafft haben, uns einmal die Woche zu treffen ist fast ein Wunder. Und das hat auch nicht immer gepasst. Ein einziges Mal haben wir es geschafft, uns mal außer der Reihe zu verabreden. Wir haben zusammen Crêpes gemacht und uns unterhalten. Es war ein Nachmittag unter Freundinnen. Aber dann beim nächsten Treffen war doch wieder alles beim Alten. Schuld daran war wahrscheinlich auch die sprachliche Barriere, die doch irgendwie zwischen uns war. Da hilft es auch nicht, dass ich mein Französisch über die Zeit verbessert habe.

Sprachen, Sprachen, Sprachen

Fest steht: ein Semester allein reicht nicht aus. Klar, ich habe die letzten Monate viel gelernt. Aber meine Sprachkenntnisse muss ich auch weiter traineren. Sonst bin ich schnell wieder an dem gleichen Punkt, an dem ich im Oktober war. Vielleicht sollte ich mich auch mal über spezifischere Themen unterhalten. Wir haben bei unseren Treffen immer nur über die vergangene Woche gesprochen und wie es uns im Moment geht – abgesehen von unseren Gesprächen über Serien und Musik. Für mein nächstes Tandem nehme ich mir vor, auch mal über andere Dinge zu reden.

Fest steht aber auch: Ich habe einiges gelernt. Und zwar nicht nur sprachlich. Durch unsere Unterhaltungen habe ich auch tiefe Einblicke in alle möglichen Lebensbereiche in Frankreich gewonnen, und das, obwohl ich selbst vier Monate in Paris gelebt habe. Und ich konnte selbst ein bisschen dabei helfen, Geheimnisse der deutschen Unis, der deutschen Musik und des deutschen Fernsehens zu lüften.

Für mich ist meine Tandem-Karriere auf jeden Fall noch nicht vorbei. Das Konzept hat mich überzeugt. Dass es ein nächstes Tandem geben wird, steht fest. Ich werde es noch einmal versuchen. Und deshalb werde ich mich am Anfang des Semesters wieder durch ein überfülltes ZHG schieben und mit vielen anderen Deutschen darauf hoffen, dass ein paar Französinnen und Franzosen auftauchen, die mit uns reden wollen.

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Verena Pauer, 27, studiert im Master Komparatistik, nach dem Bachelor in Geschichte und Deutscher Philologie. Wenn sie nicht für den Blug über den Campus läuft, ist sie mit der Kamera für das Campus-TV univision unterwegs.

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